Neschama erwachte mit Kopfschmerzen. Das Ritual hatte sie all ihre körperliche, geistige und spirituelle Energie gekostet. Dennoch fühlte sie sich frisch und glücklich.
»Morgen, Langschläfer.« Vor ihrem Lager saßen Ashraquat und Elaine. Sie bedienten sich aus einer große Schale mit Früchten.
»Hmgn…« Ihre Zunge lag schwer im Mund. Neschamas Bauch gab ein tiefes Grummeln von sich. Sie beherrschte sich und aß langsam. An den Wänden entdeckte sie Kisten und Körbe. »Was ist das?«
»Das sind deine Geschenke. Die standen vor der Tür. Hast du wohl im Schlaf nicht mitgekriegt.«
Neschama bekam einen Schreck. »Ich bin eingeschlafen? Habe ich versagt?«
Elaine lachte. »Ganz im Gegenteil. Du hast länger durchgehalten als ich seinerzeit.«
»Oh. So viele Geschenke.« Neschama pustete die Backen auf. Es würde Tage dauern, alles durchzusehen!
Ashraquat und Elaine grinsten sich nur an. »Dann wollen wir nicht länger stören.« Sie winkten ihr zu und verließen das Haus.
Neschama schloss die Augen und lächelte. Sie gehörte dazu. Was für ein schönes Gefühl. Sie angelte nach dem ersten Korb. Es klimperte darin. Sie schlug das Tuch zurück und sah hinein. Er war randvoll mit Früchten. Sie fand jede Einzelne, die sie kannte, von der Dattel bis zur Palmbeere. Aber Beeren klimpern nicht. Ihr Blick fiel auf eine in der Tiefe, die in mehreren Farben schillerte. Sie griff danach. Oh, eine harte Frucht. Eine unbekannte harte Klimperfrucht? Sie räumte den Weg frei. Vom Korb in den Mund. Natürlich nur, damit die Kleinen nicht zurückrutschten.
Ihr Herz machte einen Satz. Sie schlug die Hände vor den Mund.
Auf dem Boden des Korbs lag eine Halskette.
Sie legte die Kette vor sich auf die Decke. Damit ihr kein Detail entging, ließ sie sie langsam durch ihre Hände gleiten. Auf einer feinen Schnur reihten sich bunte Käferrücken aneinander. Zur Mitte hin wurden sie größer und prächtiger. Das Zentrum bildete ein Facettenauge, das in allen Farben glühte. Zwischen den Schalen waren Beine in passender Größe aufgereiht.
Sie sah genau hin. Das waren keine Beine! Ihre Augen wurden groß. Vorsichtig hob sie die Kette ins Licht. Die vermeintlichen Beine entfalteten Flügel, die das Licht brachen. Schimmerlinge!
Sie konnte die Kette unmöglich selbst anlegen. Neschama sprang auf. Sie rannte zur Tür hinaus und landete direkt in Atons Armen.
»Wie ich sehe, sprühst du wieder vor Energie.« Er drückte sie an sich.
Neschama sträubte sich. »Nicht jetzt. Dich schicken die Götter. Komm mit rein. Ich muss dir was zeigen!«
Aton hielt sie fest. »Jetzt lass mich dich doch richtig begrüßen. Ich hab dich einen ganzen Tag lang nicht gesehen.«
»Aber im Zelt… ich… na gut.« Sie drückte sich an ihn und gab ihm einen schnellen Kuss. Endlich ließ er sie gehen. Sie zog ihn hinter sich her ins Zelt, setzte sich vor den Korb und sah bedeutungsvoll auf die Kette.
Aton leckte sich die Lippen. »Oh, Liebling! Du bist ein Schatz. Wir sind gerade heimgekommen. Ich habe ewig nichts mehr gegessen. Ich könnte einen Sonnenkäfer verdrücken! Am Stück!« Er langte kräftig zu.
Neschama rutschte hin und her. Sie kaute an ihrer Lippe. Die Kette lag doch offen da!
Frucht für Frucht verschwand auf Nimmerwiedersehen in Aton. Er lehnte sich zurück und rieb seinen Bauch. »Das war gut.«
»Es wird noch besser!« Mikaia biss die Zähne zusammen. Da musste doch bestimmt … Ha! In einer Kiste lag ein Schlauch Wein. Sie goss eine Schale voll. »Hat der Herr nach all dem Essen Durst?«
»Und wie!«
»Bitte sehr.« Neschama schüttete ihm den Wein ins Gesicht. »Und wie wäre es mit etwas Nachschlag?« Sie fand einen Klotz Trauben und zerdrückte ihn auf seinem Kopf.
Sie wühlte gerade nach weiteren Waffen, da hielt Aton sie zurück. »Schau doch mal, was ich gefunden habe!« Mit zwei Fingern hielt er die Kette hoch.
»Männer!« Das war wieder so typisch! Sie entdeckte den Schmuck unter all den Früchten, und er musste erst den ganzen Korb leeren und brauchte dann auch noch Hilfe. Wenn er jetzt nicht das Richtige tat, würde sie ihn umbringen.
»Wen hast du verärgert, dass er dir so einen Plunder schenkt?« Er ließ die Kette baumeln.
Neschama ballte die Fäuste und fauchte Aton an.
»Einfach Mist.« Aton war dabei, die Kette achtlos in den Korb zu werfen.
»Bist du komplett wahnsinnig?« Sie krallte sich in seinen Arm und rettete die Kette. Sofort drehte sie sich von Aton weg und schützte sie. Panzer für Panzer untersuchte sie die Glieder nach abgebrochenen Stücken. Ihr Götter! Sie war noch heil. Dafür würde sie Aton in die Wüste schicken! Es war aus mit ihnen!
»Oh, schau mal. Wir wissen, von wem das Ding ist.« Er zeigte auf das Auge. »Da steht was drauf.«
Sie stellte sich vor, wie er sein Fehlverhalten einsam und ohne einen Tropfen Wasser in der Wüste bereute. »Und?«
»Ich bin nur ein Mann. Ich kann nicht lesen.«
»Wie immer. Alles lässt du mich allein machen.« Sie besah sich das Auge.
»Andere Seite.«
Wütend drehte sie die Kette um. Sie legte sie sich auf den Arm und hielt die Rückseite des Auges ins Licht.
»In Liebe. Aton.«
Sie fuhr herum. »Du, dreimal ver…«
Aton hielt mit beiden Händen eine Schale Wasser hoch. »Neschama. Willst du das Wasser mit mir teilen? Willst mit mir bis zu deinem letzten Tag auf dieser Welt durch die Wüste streifen? In Tagen, in denen uns die Götter mit Wasser segnen, und in solchen, in denen es uns an allem fehlt?«
Die Nacht und der Schreck forderten ihren Tribut. Neschama kippte um, direkt in Atons Arme.
»Ich nehm das mal als ja?«
Sie klammerte sich mit Händen und Beinen an ihn. Am liebsten wäre sie in ihn hinein gekrochen. Sie brachte etwas heraus, von dem sie hoffte, dass es nach ja klang. Sie testete kurz, ob sie wieder stehen konnte, gab ihm die Kette und drehte sich um. »Jetzt mach doch endlich.«
»Würd ich ja gerne, wenn du mal einen Moment stillhalten könntest.«
Er legte ihr die Kette um. Sie fühlte sich großartig auf ihrer Brust an. »Sag schon. Wie seh ich aus?«
»Ich sehe nichts. Drehst du dich mal um?«
Sie drehte sich und stellte sich in Pose.
»Wow. Noch besser als gestern.«
Sie warf ihm einen langen Blick zu und legte alles, was sie hatte, in einen Kuss.
»Und jetzt versuch es noch mal. Das vorhin hätte ein Ja sein können. Oder ›Die Braunschlange hat Kopfschmerzen.‹ Also?«
Neschama stieß sich von ihm ab. Ihre Lippen bebten. Sie verknotete die Hände auf der Suche nach passenden Worten. »Das ist gemein. Du hattest alle Zeit der Welt, dir was zurecht zu legen.«
»Nö. Kam mir spontan.« Er sah so aufrichtig aus. Und ihr fiel einfach nichts ein.
Sie ließ los und redete, ohne zu denken. »Bis zum letzten meiner Tage auf dieser Welt ist mir nicht genug. Wenn wir zu Staub werden will ich, dass uns der Wind mischt und durch die Wüste weht, bis selbst die Wüste vergangen ist.«
Feierlich hob Aton die Wasserschale und leerte sie über Neschama und dann über sich. Er hob ihre Kette und küsste sie. Neschama kicherte, beeilte sich und küsste gleichzeitig die Rückseite.
»Immer nur Quatsch im Kopf, hm?« Er küsste sie. »Lass es uns bekannt machen, ja?«
Neschama hob die Braue. »Wer weiß es noch nicht?« Sie zeigte mit dem Daumen auf die Kette. »Ich meine … wer hat das denn geschrieben? Und du kannst mit einer Hand eine ganze Eashra verprügeln. Aber mal im Ernst: Du und Feinarbeit? Wer hat die Kette gemacht?«
»Das verrat ich dir nie.«